Was wir über den Raketeneinschlag in Polen wissen

Stand: 16.11.2022, 18:39

Es waren zunächst beängstigende Eilmeldungen, die von Medien am Dienstagabend mitteleuropäischer Zeit weltweit verschickt wurden. In Polen war demnach eine Rakete eingeschlagen. Nach anfänglichen und viel zitierten Berichten der US-amerikanischen Nachrichtenagentur AP, es handle sich um eine verirrte russische Rakete, geht man mittlerweile von einem ukrainischen Flugabwehrkörper aus. Was ist passiert? 

Am Dienstag starten die russischen Streitkräfte massive Raketenangriffe auf ukrainische Städte, die erneut auf die Stromversorgung abzielten. Jurij Ihnat, Sprecher der Luftwaffe der Ukraine, sprach im ukrainischen Fernsehen von über 100 Raketen.  

Im polnischen Dorf Przewodow schlägt am Dienstagnachmittag eine Rakete ein, auf einem landschaftlichen Betrieb, weniger als zehn Kilometer von der Grenze mit der Ukraine entfernt. In der Trocknungsanlage für Getreide in der Nähe einer Schule werden zwei Männer getötet. Noch am Abend traten der polnische Nationale Sicherheitsrat und das Kabinett zu Krisensitzungen zusammen. Nach polnischen Angaben handelt es sich um eine Rakete des Flugabwehrsystems S-300 sowjetischer Bauart und aus russischer Produktion. Sie wird von beiden Seiten eingesetzt, vor allem aber von der ukrainischen Luftabwehr. Polen und Nato gehen derzeit davon aus, dass die Flugabwehrrakete von der ukrainischen Armee zum Abschuss einer russischen Rakete eingesetzt worden war, aufgrund eines mutmaßlich technischen Defekts aber nach Polen abgelenkt wurde.

Nach derzeitigem Ermittlungsstand schließt man einen vorsätzlichen Angriff aus.

„Nichts, absolut nichts, deutet darauf hin, dass es sich um einen absichtlichen Angriff auf Polen handelte“, sagte der polnische Staatspräsident Andrzej Duda.

Laut Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sei der Vorfall nicht die Schuld der Ukraine, sondern Folge des „sinnlosen“ russischen Angriffskrieges. Ähnlich äußerten sich auch andere Regierungschefs, darunter Bundeskanzler Scholz.

Vorfall schürt Ängste vor Eskalation 

Polen ist Nato-Land und Mitglied der Europäischen Union. Während der Explosion in Ostpolen kamen im indonesischen Bali die G20-Länder zusammen. Am Mittwoch rief US-Präsident Biden die G7-Partner zu einer Sitzung zusammen. Berichten zufolge soll er hier bereits informiert haben, dass es sich um eine ukrainische Rakete handle. 

Polen und Nato wollten jeglichen Anschein einer Eskalation vermeiden. Lange war der Vorfall überhaupt nicht bestätigt, während Russland schon dementiert hatte, überhaupt Angriffe im Grenzgebiet durchzuführen. „Ich appelliere an alle Polen, Ruhe zu bewahren. Lassen Sie uns bedacht vorgehen, wir dürfen uns nicht manipulieren lassen”, sagte Premierminister Mateusz Morawiecki nach der Sitzung des Sicherheitsrates tief in der Nacht. 

Das tödliche Ereignis hatte weltweit Ängste vor einem Auslösen des Nato-Bündnisfalles geschürt. Dieser besagt, dass ein Angriff auf ein Nato-Land als ein Angriff auf alle gewertet wird und Beistand aller Mitglieder erfordert. Zugleich kam der Vorfall nicht überraschend, auch zuvor waren Raketen sehr nah am polnischen Staatsgebiet eingeschlagen, die dann aber doch im Nachbarland Ukraine aufkamen. Gerade weil stets betont wurde, dass man jedes Stück Nato-Gebiet verteidigen würde, bemühte sich das Bündnis schnell darum, Gerüchte zu unterbinden, die Nato könnte gar militärisch reagieren.

Medien hatten zunächst berichtet, Polen wolle Artikel 4 des Nato-Vertrags in Gang setzen. Dieser besagt, dass die Mitglieder zu Beratungen zusammenkommen, wenn die Sicherheit eines Mitgliedes bedroht ist. Tatsächlich kam es am Mittwoch auch zu einer Dringlichkeitssitzung der Botschafter, wohl aber nicht unter Inanspruchnahme des Artikel 4. Polen versetzte schon am Dienstag Teile seiner Armee in erhöhte Bereitschaft und bestellte den russischen Botschafter ein. 

Quellen: ZDF, Spiegel, AP, Reuters, Nato, ZET, ARD

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