Interview mit Annas Mitbewohnerin
Lübeck: Anna studiert Musik und lebt allein. Im März nahm sie Geflüchtete in ihrer Studentenbude auf. Hier wird davon berichtet. Ein dreiviertel Jahr später konnte die Redaktion mit einer der Ukrainerinnen über Umweltschutz sprechen.
Anna, Schwester des Redakteurs, wohnt in einem Fachwerk-Reihenhaus in Lübeck. Das Haus ist ganz klein, ungefähr 20m² inklusive Küchenzeile und Dusche, ein Sofa, ein Bett, Schreibtisch und Dachschräge – ohne Tisch, ein Stuhl. Annas Hochschule hatte vor einiger Zeit ein Programm eingerichtet, durch das Erstsemester, die zu Studienbeginn noch keine Unterkunft gefunden haben, einen Schlafplatz bei anderen Studierenden vermittelt bekommen. Und dann begann der Ukraine-Krieg. Kurzerhand wurde das Programm umfunktioniert: Wer konnte Flüchtlinge aufnehmen? Anna war begeistert. Sie entschied schnell und kreuzte an: „Platz für Mutter mit Kind“ und „ein Bett von 1,40m Breite“. Eine Mutter mit ihrem Baby braucht nicht so viel Platz, sie werden auf ihrem Bett schlafen können. Sie selbst würde dann halt auf dem Sofa schlafen, dachte Anna.
Lange Zeit geschah nichts
Aber dann… Dring, dring! Sonntagnachmittag, Annas Handy klingelte. Zwei Ukrainerinnen, tatsächlich Mutter und Kind, kämen am Abend für einen Monat zu ihr. Oh weia, sie sind nicht nur viel älter als erwartet, die Tochter ist 30 und deren Mutter keine Studentin, sondern eine mittelalte Frau; sie haben auch noch einen Hund und zwei Katzen. Woher soll man bitteschön am Sonntag einen Hundenapf her bekommen?! Anna bittet ihr Verwandtschaft um Hilfe, die kurze Zeit später Notwendiges vorbei bringt: Essen, Kleidung, Katzen- und Hundefutter von der Tankstelle und einen improvisierten Napf.
Schichtwechsel
Es kommen also eine ukrainische Mutter und ihr 30-jähriges “Kind” (Anna hatte mit einem Baby oder Kleinkind gerechnet …), eine Hündin, eine Katze und Franja, eine sibirische Nacktkatze. Sie alle müssen sich das Bett teilen. Sie schlafen in Schichten, nachts die Frauen, tagsüber die Tiere – der kleine, kaum zu erkennende rosa Fleck auf dem Foto oben ist Franja; sie braucht natürlich eine Daunendecke, denn selbst für eine sibirische Nacktkatze ist es im März in Lübeck recht kalt.
Alle fünf zwei- und vierbeinigen Ukrainer:innen sind freundliche und positive Wesen, sodass Anna schon nach einer Woche sagt, sie möchte nie wieder ohne ihre ukrainischen Flüchtlinge sein. Es ist dann auch Anna, die den Ukrainerinnen den Start in Lübeck erleichtert. Sie besorgen sich bei einer Spendensammelstelle einen Kinderwagen für Franja und fahren mit ihr durch die Lübecker Altstadt spazieren. Viele Lübecker Frauen schauen in Erwartung, ein süßes Baby zu erblicken, in den Wagen – sehen aber dann die Nackkatze – und kommen so mit ihnen ins Gespräch; sie gewinnen sogar Freunde – Freunde, dank derer sie nach einem Monat schon eine eigene Wohnung mieten können, für die sie sogar das nötige Mobiliar überlassen bekommen …
Monate später gab es die Möglichkeit, mit der 30jährigen Ukrainerin ein Interview zu führen!
Du bist Vegetarierin. Wieso hast Du dich dazu entschieden?
Da gibt es drei wesentliche Gründe. A) Ethische. Ich bin der Meinung, dass Tiere Lebewesen sind, die Schmerz, Angst, Freude und Vergnügen empfinden und die leben und nicht leiden wollen. b) Schutz der Umwelt. Die Produktion von Lebensmitteln für den menschlichen Verzehr verursacht erhebliche Umweltschäden wie Abholzung, Bodenerosion, Süßwasserknappheit, Luft- und Wasserverschmutzung und Klimawandel. C) Ursachen für die Gesundheit. Eine vegetarische Ernährung mit einem hohen Anteil an Gemüse, Getreide und Obst hilft, den Blutdruck zu normalisieren, das Krebsrisiko zu senken, der Entstehung von Diabetes vorzubeugen und Fettleibigkeit zu beseitigen.
Kannst Du uns etwas zum Thema Massentierhaltung und Schlachthöfen erzählen?
Darüber weiß ich nicht so viel, aber Massentierhaltung ist in der Ukraine sehr populär. Einer der Schlüsselbereiche [für die Ukraine] ist die Fleischproduktion, die nicht nur sozioökonomisch, sondern auch organisatorisch, technologisch und politisch wichtig ist. Sie ist auch für die Wirtschaft der Ukraine sehr wichtig. In jedem der 24 Oblaste unseres Landes gibt es Tierzuchtbetriebe und Geflügelfarmen.
Hier in Deutschland sind viele junge Menschen nicht nur vegetarisch, sondern sogar vegan. Ist das auch in der Ukraine der Fall?
Sich vegetarisch oder vegan Ernährende sind vor allem in der jüngeren Generation zu finden, aber in der Ukraine noch nicht sehr verbreitet. Glücklicherweise bewegen wir uns allmählich in diese Richtung. In den Geschäften gibt es immer mehr Produkte, die Fleisch- und Milchprodukte ersetzen können.
Kannst du die Mülltrennung in Deutschland und in der Ukraine vergleichen?
Leider ist die Mülltrennung in der Ukraine noch nicht so weit fortgeschritten. Im Grunde genommen haben wir nur spezielle Container für Plastik und Orte, an denen man das Papier abgeben kann und je nach Gewicht Geld bekommt. Aber in einigen großen Städten gibt es auch Mülltonnen für alle Abfallkategorien. Ich hoffe, dass die Ukraine in Zukunft auch in diese Richtung gehen wird. Als ich nach Lübeck kam, las ich viele Informationen darüber, wie man Müll sortiert, wo man verschiedenfarbiges Glas hinwerfen kann, das ist nicht schwer. Auf diese Weise hilft jeder Mensch jeden Tag, unseren Planeten zu retten. Das ist sehr wichtig und schön.
Was weißt du über Recycling und Foodsharing?
Leider weiß ich nicht, inwiefern wir solche Programme für Menschen haben, denn ich habe sie noch nie benutzt. Es gibt aber spezielle Organisationen, die Mittag- und Abendessen für Menschen kochen, die keine Wohnung und kein Geld haben. Sie können sich dort auch waschen und schlafen.
Linktipp der Redaktion: Infos zu Recycling und Foodsharing
Gibt es in der Ukraine viele Bio-Bauernhöfe?
Biobauernhöfe sind in der Ukraine sehr beliebt. Zahlreiche Menschen, die auf dem Land leben, bauen viel Gemüse, Obst und Beeren an. Oft haben sie Kühe, Schweine, Ziegen, Hühner, Enten und Gänse, sodass sie ihre eigenen Milch- und Fleischprodukte wie Butter, verschiedene Käsesorten, Hüttenkäse und saure Sahne herstellen können. Frühmorgens bringen die Menschen alles in die Stadt auf den Markt und verkaufen alles vor dem Mittagessen.
Diese Produkte schmecken viel besser als im Laden, sie sind frisch (also das, was am Morgen gepflückt oder zubereitet wurde). Es leben in der Stadt auch viele Menschen, die ihren eigenen Garten haben. Diese bauen sehr oft Gemüse, Obst und Kräuter für sich und ihre Verwandten an: Äpfel, Birnen, Pflaumen, Aprikosen, Pfirsiche, Trauben, Erdbeeren, Himbeeren, Stachelbeeren, Zwiebeln, Knoblauch, Gurken, Tomaten, Paprika, Zucchini, Dill, Petersilie, Basilikum, Rucola sind sehr beliebt, weil wir viel Sonne und einen sehr guten Boden haben.
Was hat dich positiv überrascht, als Du nach Deutschland gekommen bist?
Mir hat gefallen, wie die Deutschen sich um die Natur und die wilden Tiere kümmern, das ist sehr cool. Und was mir aufgefallen ist, ist, dass in den Parks jeder Baum eine eigene Nummer hat, so dass man eine Liste der Bäume führen und sie auch retten kann. [Anmerkung d. Red.: Falls ihr es noch nicht gesehen habt: In vielen städtischen Parks sind Bäume nummeriert. Die Stadt hat einen Register, in dem alles über die Bäume notiert wird]
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