Die Armuts-Problematik ist allgegenwärtig, besonders in Zeiten des Krieges. Doch die meisten Menschen entscheiden sich weiterhin dazu, die Augen zu verschließen. Hilfe ist jedoch bitter nötig (ein Essay von Luise).

Das Wort „Armut“ löst wahrscheinlich in uns allen etwas aus.

Vielleicht denken wir an die abgemagerten Menschen, die uns von der Brot-für-die-Welt-Broschüre anlachen, die Hände zum Gruß erhoben, die Augen stumpf und müde. Vielleicht erinnern wir uns an letzten Montag, als wir in der U-Bahn von einem bedürftigen Menschen angesprochen wurden und in unangenehmer Ablehnung auf unser Handy starrten, nur scheinbar abgelenkt. Vielleicht haben wir aber auch das Bild eines Kindes vor Augen, mit Blähbauch und dreckiger dunkler Haut, der Blick schreit nach Gerechtigkeit, nach Bildung aber vor allem nach einem Stück Brot – ein altbekanntes Stereotyp.

Eigentlich kommen wir nahezu jeden Tag mit Armut in Berührung.

Doch der Mensch ist bekanntlich ein „Meister des Verdrängens“, die Broschüre liegt vergessen im Papiermüll, der Obdachlose hat sich auf den Weg zum nächsten Waggon gemacht und das Kind wurde schon lange von wichtigeren Gedanken verdrängt – Gedanken an die nächste Mahlzeit oder den Abend vor dem Fernseher. Seien wir mal ehrlich, uns geht es doch gut, wieso müssen wir uns also mit dem Elend anderer auseinandersetzen?

In Zeiten des Krieges sollten wir uns jedoch der Problematik entgegenstellen – mit Blick auf die Zukunft. Denn selbst wenn keine Bomben mehr fallen, wenn keine Menschen mehr sterben, wenn scheinbarer Frieden herrscht – die Armut bleibt.

Nicht nur der Staat selbst wird durch einen Krieg in seinen Fundamenten erschüttert, auch seine Bevölkerung leidet unter der anhaltenden Verwüstung, unter der Zerstörung der Infrastruktur. Es werden nicht allein Straßen und Schienennetze zerstört, dem Krieg fallen auch unzählige Eigenheime zum Opfer. Häuser und Wohnungen, die durch Geld erworben wurden, das sich Viele über Jahre vom Munde absparten – mit einem Schlag wurden und werden sie zerstört. Kriege nehmen Erinnerungen, geliebte Menschen und geliebte Orten, sie löschen Existenzen aus.

Dieser Prozess der Destruktion (Zerstörung der Demokratie) ist der erste Schritt in Richtung Armut. Wenn von Haus und Grund nicht vielmehr als ein Aschehaufen übrigbleibt und man sich entwurzelt und mittellos auf dem Weg in eine fremde Stadt oder sogar ein fremdes Land, in einer vollkommen neuen Umgebung wiederfindet, steht man am Abgrund. Es fehlt nicht viel und man wird hineingezogen, in den Kreislauf der Armut, den man möglicherweise nie wieder verlassen wird.

Sich ein neues Leben aufzubauen kostet Kraft, die viele in Zeiten der Gewalt nicht aufbringen können.

Schon die Suche nach einer neuen Arbeitsstelle scheitert oftmals. Ohne Einkommen lassen sich kaum die steigenden Lebensmittelpreise bezahlen und eine mangelnde Nahrungsmittelversorgung führt ultimativ zu einem verringerten Leistungsvermögen. Hier beginnt der Kreislauf von Neuem.

Wenn wir uns nun auch noch dem emotionalen Aspekt der Armut zuwenden, muss ich mich wieder und wieder fragen, wie Menschen es aushalten Tage, Wochen und Jahre unter solchen Bedingungen zu überleben. Ich benutze bewusst den Begriff „überleben“, denn von „leben“ kann hier kaum die Rede sein. An der Versorgung der eigenen Familie zu scheitern, geht mit einem unglaublichen Gefühl der Hilf- und Machtlosigkeit einher, das den/ die Betreffende(n) immer weiter an den Abgrund der eigenen Identität drängt. Wer bin ich, wenn ich nicht einmal für meine Familie sorgen kann, wenn der Gedanke an die nächste Mahlzeit Schweißausbrüche auslöst und sich zwischen einer kalten oder gar keiner Dusche entschieden werden muss, aber kalt duschen ist doch auch gesund. Wer bin ich ohne eine Heimat beziehungsweise mit einer Heimat, die mir Stück für Stück weggenommen wird – emotional und physisch.

Nichtsdestotrotz kann man in Bezug auf Armut schlecht eine Unterteilung in Gut und Böse vornehmen.

Sowohl in der Ukraine als auch in Russland leidet die Bevölkerung unter den wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen des Krieges. Besonders ins Auge zu fassen sind hier junge Erwachsene und Kinder.

So steigt die Zahl der in Armut lebenden Kinder nach Angaben der UNICEF in Russland um rund 2,8 Millionen, in der Ukraine sind es circa eine halbe Millionen.

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Gerade durch den Anstieg der Preise für lebensnotwendige Güter, wie Lebensmittel, Wohnraum und Brennstoff, bleibt wenig Geld für die ebenso wichtige Aspekte wie Gesundheitsversorgung oder Bildung. Diese Tatsache beeinflusst nicht den unmittelbaren Lebensalltag von unzähligen Kindern, sie wird auch ihre Zukunft prägen. Eine Jugend ohne Bildung, für uns unvorstellbar und scheinbar reizvoll, für Kinder und Jugendliche in vielen Kriegsgebieten die bittere Realität. Und ohne vollständige Ausbildung endet eines von drei Kindern, das in Armut aufwächst, auch als Erwachsene:r in der Armut. Der Ausbruch aus dem Teufelskreis ist lediglich das Glück einiger weniger. Krieg zerstört also nicht nur die Erinnerungen an eine glückliche Vergangenheit, er nimmt Kindern und Jugendlichen die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft.

Die Realität der Armut ist mir und wahrscheinlich vielen anderen Jugendlichen in meinem Alter unglaublich fremd.

Ich sitze in meinem warmen Bett, bin satt und frisch geduscht. Ich rede über Armut und habe eigentlich gar keine Ahnung, was es bedeutet in Armut zu leben. Und das sollte uns wahrlich zu denken geben. Unsere unzähligen Privilegien gleichen einem Schutzschild, der uns vor den unangenehmen Bildern und Berichterstattungen abschirmt. Wir beschweren uns über Schulstress und Eltern oder lästige Aufgaben und Pflichten und sollte eigentlich unglaublich dankbar für unsere „normalen“, unbedeutenden Probleme sein. Wir müssen aufhören wegzuschauen und die Augen öffnen.

Krieg ist nicht nur ein kurzfristiger Schrecken, er wirft seine Schatten noch lange nachdem er sich scheinbar schlafen gelegt hat. Und die Armut ist nur eines dieser Schattengewächse. Bis 2030 soll kein Mensch auf der Welt mehr in extremer Armut leben – wie soll das gehen?


Quellen:

  • https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/-/vier-millionen-kinder-in-armut/314600
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